Paddeln im Wilden Osten

Mit dem Kajak in Kirgisistan

Kirgisistan ist eine der fünf zentralasiatischen Republiken, welche sich nach dem Zerfall der Sowietunion Anfang der 1990er Jahre bildeten. Seine Nachbarn sind Kasachstan im Norden, China im Osten, Tadschikistan im Süden und Usbekistan im Westen. Das Land und insbesondere seine Gebirgszüge Pamir und Tienshan sind unter Bergsteigern wohlbekannt. Der Pik Lenin ist mit seinen 7.134 m Höhe ein bekanntes Gipfelziel. Rund 90 % des Landes liegen über 1.500 m Höhe und 50 % sogar über 3.000 m Höhe. Und wo es so viele hohe Berge und Gletscher gibt kann Wildwasser nicht weit sein…

Auf dem Karakol

Wie kommt man zu einer Kajaktour in ein solches Land? Durch Freunde. Oskar Lehner aus Linz, der Organisator unserer Tour, arbeitet seit mehreren Jahren für die UNO in Kirgisistan. Als begeisterter Paragleiter, Skitourengeher und Paddler nutzt er jede Gelegenheit die Lüfte, Berge und Flüsse des Landes zu erkunden. Und um nicht immer allein unterwegs zu sein, hat er Freunde vom Faltbootclub Linz und deren Freunde zu einer Reise in dieses faszinierende Land eingeladen.

Abflug in Wien

Nach langer Vorbereitung ist es dann am 9. August 2008 soweit. Mit dem Auto über Linz, um dort weitere Teilnehmer mitzunehmen, nach Wien Schwechat. Am Flughafen treffen sich dann zwölf Paddler mit 14 Kajaks und Bergen von Gepäck. Das Einchecken braucht mehrere Stunden, aber letztlich bekommen wir und unser ganzes Material Platz in einer Boeing 737 der Turkish Airlines. Über Istanbul führt der Flug nach Bischkek, der Hauptstadt im Norden Kirgisistans. Die Einreise und die Ausstellung der Visa dauern ewig, die Gepäckausgabe verläuft gelinde gesagt chaotisch. Und mit Schaden! Meine drei in einem Skisack gebündelten Paddel sind allesamt abgebrochen. Es müssen enorme Kräfte eingewirkt haben, denn moderne Wildwasserpaddel halten extremer Beanspruchung stand. Wir haben glücklicherweise genügend Ersatzpaddel dabei. Nach Reklamation des Schadens bei der Airline schaffen wir es in den frühen Morgenstunden nach durchwachter Nacht aus dem Flughafen. Nach wenigen Metern dann das nächste Ereignis. Der LKW, auf dessen Dach wir unsere Kajaks in zwei Lagen übereinander festgebunden hatten, streift an einer zu niedrigen Unterführung die obere Lage von sieben Kajaks ab, Gott sei dank ohne ernste Beschädigungen. Schließlich schaffen wir es doch noch in die ca. 45 Autominuten entfernte Hauptstadt und in ein Hotel. Nach kurzer Akklimatisation in der Stadt und im nahe gelegenen Ala-Arca-Nationalpark führt die Reise 200 km nach Osten zu den ersten Flüssen. Der Chui und der Chon Kemin bilden einen hervorragenden Auftakt mit Wildwasser bis zum dritten Schwierigkeits­grad. Die Sonne lacht und wir sind froh, endlich aufs Wasser zu kommen.

Auf dem Chui

Zwei Mitsubishi-Kleinbusse mit Allrad und ein umgebauter russischer GAZ Militär-LKW bilden unsere Fahrzeugflotte. Campiert wird je nach Wetter im Freien oder im Zelt in unmittelbarer Nähe zu den jeweiligen Flüssen. Neben den drei Fahrern ist auch eine Köchin, Ilona, mit dabei. Alles von Oskar Lehner organisiert. Der Aufbau des Lagers am Abend und der Abbau am Morgen kosten jeweils viel Zeit und Kraft. Gilt es doch, rund zwei Dutzend schwere Holzkisten mit der Küche und das gesamte andere Material ab- und aufzuladen.

LKW Beladung

Nach dem Auftakt an den ersten einfacheren Flüssen geht es südlich des riesigen Issyk-Kul-Sees in den Osten des Landes. Nach einer sehr langen u. ermüdenden Schaukelfahrt auf Straßen, deren Zustand weit von mitteleuropäischen Standards entfernt ist, erreichen wir spät nachts und völlig "gerädert" das Yeti-Oghus-Hochtal. Wir übernachten im Freien auf 2.200 m Höhe.

 

War es das ungewohnt fettige Essen, mangelnde Hygiene, ungewaschenes Obst, zuwenig Wodka, jedenfalls sind am nächsten Morgen die meisten unserer Gruppe nicht so recht wohlauf. Die niedrige Motivation wird genutzt, um den Fluss zu Fuß ober- und unterhalb unseres Lagers zu erkunden. Abgesehen von einem kurzen flacheren Mittelstück am Camp zeigt sich der Fluss steil, verblockt und mit quer liegenden Bäumen gespickt. Die warmen Temperaturen sorgen für ordentlich Schmelzwasser von den Gletschern und einen sehr hohen Wasserstand. Wir verzichten auf eine Befahrung, erholen uns und genießen die wunderschönen Bergwiesen. Leider getrübt durch allgegenwärtigen Müll. Die Kirgisen haben wie viele andere ehemalige Naturvölker noch keinen rechten Bezug zu ihren Hinter­lassenschaften. Alles wird gedankenlos an Ort und Stelle weggeworfen und so finden sich überall die unangenehmen Spuren des Plastikzeitalters.


Auf dem Joon Aryk

Da die umliegenden Hochtäler und Flüsse aufgrund des hochsommerlichen Gletscherschmelzwassers wenig Befahrungserfolg versprechen, kehren wir der Region um die Stadt Karakol wieder den Rücken und machen uns auf den Weg zum Fluss Kekemeren, dem Hauptziel unserer Reise. Unterwegs gelingt es uns, lohnende 10 km auf dem Joon Aryk nahe der Stadt Kochkor am Westufer des Issyk-Kul Sees zu paddeln. Praktisch, wenn die Straße direkt am Fluss entlang führt. Besichtigen, Fotografieren, Ein- und Aussteigen sind sehr einfach. Der Fluss fordert uns mit Schwierigkeiten bis zum vierten Grad. Nach einer endlosen, staubigen Schotterpistenfahrt über einen über 3.000 m hohen Pass erreichen wir wieder einmal spät nachts unser Ziel, die Ortschaft Aral am Kekemeren. An diesem Fluss verbringen wir die kommenden fünf Tage und paddeln über 100 km. Ausgesprochen wuchtiges, blaugrünes  Wild­wasser mit etwa 120 m³/s Wasserführung und Schwierigkeiten bis zum fünften Grad erwartet uns.

Auf dem Kekemeren

Den ersten Abschnitt nehmen wir nur zu dritt in Angriff. Die Höhe von ca. 2.000 m lässt uns schnell außer Atem geraten, der Fluss verlangt vollen Einsatz. Einen riesigen steilen Katarakt, von den britischen Erstbefahrern treffend „Stairway“ genannt, paddelt Hansi Niederwimmer, unser Crack, nach eingehender Besichtigung als einziger. Bald danach lassen die Schwierigkeiten etwas nach und einige Paddler aus unserer Gruppe steigen nun zu. Der Kekemeren zeigt uns aber immer wieder seine Zähne: mehrere Eskimorollen und ein Schwimmer, nachdem ein Paddler von einer Walze aufgemischt wird, sind der Tribut. Dank perfektem Einsatz des Wurfsacks durch einen am Ufer sichernden Kameraden geht alles glimpflich aus.

Lager am Kekemeren

Unser Lager befindet sich am rechten Flussufer, einmalig schön direkt ggü. einer gewaltigen Schotter- und Sandrutsche, welche vom linken Flussufer steil in den Himmel ragt. Das ganze Gebiet ist nahezu vegetationslos, nur im Talgrund, unmittelbar am Fluss entlang, zieht sich ein schmales grünes Band durch die wüstenartige Gebirgslandschaft. Ein extremer Kontrast.

 

Die nächsten Tage verbringen wir auf verschiedenen Abschnitten des Kekemeren. Vom über einen Kilometer langen Katarakt im fünften Grad, welcher nur von zweien befahren wird, bis zu beschaulich-ruhigen Mäandern reicht das Spektrum. Alle aus der Gruppe, stärkere wie schwächere Paddler, kommen auf ihre Kosten.

Auf dem Kekemeren

Anstrengend und abenteuerlich sind insbesondere die Autofahrten vom Lager zu den Einstiegsstellen und wieder zurück. Wellblechpiste pur: Entweder langsam schaukeln oder schnell rütteln, in jedem Fall für Fahr­zeuge und Passagiere eine Tortur. Dazu der „russische“ Verkehr. Es sind zwar nur sehr wenige Fahrzeuge unterwegs, aber es gilt uneingeschränkt das Recht des Stärkeren. Rette sich wer kann, wenn ein schwerer LKW herandonnert! So kommt es schon mal vor, dass beim knappen Vorbeifahren das kleinere (stehende) Fahrzeug touchiert und mehr oder minder beschädigt wird.  Auch wir waren in zwei solche Vorfälle verwickelt. Fußgänger und Ausrüstung sollten keinesfalls auf der Straße sein!

Auf dem Kekemeren
Auf dem Kekemeren

Nach fantastischen Tagen am Kekemeren führt uns unsere Reise ins Susamir-Tal. In diesem etwa 2.500 m hoch gelegenen weiten Tal leben noch viele Kirgisen traditionell in ihren Jurten. Pferde überall und es ist toll anzusehen, wie selbst Kinder über die grünen Wiesen galoppieren.

Auch wir verbringen zwei Nächte in Jurten. Mit Zelten haben diese nichts gemein. Eine raffinierte Holzkonstruktion und dicke Teppiche schaffen eine stabile und behagliche Behausung, die selbst Winterstürmen trotzt.

Jurtencamp

Der Chychkan und der westliche Karakol sind die letzten beiden Flüsse, welche wir vom Susamir-Tal aus in Angriff nehmen. Zwischen unfahrbaren Steilabbrüchen ober- und unterhalb des von uns befahrenen Abschnitts bietet der Chychkan auf 6 km Länge verblocktes und mäßig steiles Genusswildwasser pur in alpiner Umgebung. Und das unweit einer gut ausgebauten Schnellstraße! Ganz anders der westliche Karakol. Die Anfahrt auf einer holperigen Piste mit max. 30 km/h dauert mehrere Stunden. Wieder sind wir schon vor dem Paddeln „gerädert“. Der Einstieg befindet sich auf gut 2.700 m Höhe und trotz Sonne wird es im eisigen Wind schnell kalt. Doch der Fluss entschädigt für die Strapazen. Auf zwanzig Flusskilometern windet sich der Karakol auf leichtem Wildwasser durch ein schier unendliches grünes Meer aus Gras. Kein Baum weit und breit. Adler kreisen über uns. Das Tal ist weit und öffnet den Blick ringsum auf unzählige, schneebedeckte Gipfel. Bei der Rückfahrt mit dem Auto verdunkelt eine Riesenrauchwolke in Folge eines Steppenbrandes im Nachbartal den Himmel.

Auf dem Karakol
Auf dem Chychkan
Auf dem Chychkan

Über den Tjuz-Asuu-Pass (3.586 m) fahren wir schließlich zurück in die Hauptstadt Bischkek. Dort verbringen wir noch einen Tag, u.a. mit einem Besuch auf dem Doydoy-Bazar, einem riesigen Gewirr unzähliger enger Gassen durch endlose Reihen von kleinen Läden, in dem man schnell die Orientierung verlieren kann. In der Nacht treten wir schließlich den Heimflug an. Stundenlanges Chaos am Transferschalter der Turkish Airlines in Istanbul hätte noch beinahe unseren Weiterflug nach Wien verhindert, doch letztlich schaffen wir es alle nach Schwechat. Und sogar das Gepäck ist vollzählig. Immerhin sechs Flüsse sind wir an den zehn Kajaktagen unseres zweiwöchigen Aufenthalts gepaddelt. Dabei ist der Kekemeren herausragend und braucht den Vergleich mit Weltklasseflüssen wie z. B. in Kalifornien oder Neuseeland nicht zu scheuen. Der Aufwand für die Logistik und die Anstrengungen während der Reise sind allerdings recht hoch. An dieser Stelle Dank an den Organisator Oskar Lehner vom Faltbootclub Linz, ohne den diese Reise so nicht möglich gewesen wäre.